Der Misanthrop

Der Gegenstand ist klein, hat die Form einer Seife (ist vielleicht auch eine) und ist in eine Serviette mit Weihnachtssternen eingewickelt. Rundherum ist eine Schleife. Mit einer alten Hermes Baby wurde auf grünen Papier geschrieben: Was wir am nötigsten brauchen, ist ein Mensch, der uns zwingt, das zu tun, was wir können. Das Papier klebt rückseitig auf dem Seifengeschenk.

Er ist ein introvertierter Mensch. Einer, der im Kopf ein System und einen Lebensplan für alles Mögliche hat. Seine Methode, Socken anzuziehen oder die Bettdecke auf das Bett zu legen, gleicht einem Geheimnis, das nur er kennt. Wenn er sich abends einen Krimi ansieht im TV, isst er Obst, das er in mathematisch für ihn korrekte Stücke geschnitten hat. Einen Apfel schneidet er anders als eine Birne. Jeder Gegenstand in seinem Zimmer hat den richtigen Platz. Verändert man unbewusst etwas, reagiert er zerstreut und wütend.Begegnet man ihm mit Gelassenheit und akzeptiert seine Marrotten, lernt man einen humorvollen, sensiblen Menschen kennen.

Man mag ihn nicht besonders. Er sei ein Querulant. Einer, der alles besser wisse und einer, der so unflexibel sei. Ein ganz komplizierter Mensch. Ein launischer Misanthrop.Er war knapp dreissig, als er die Kinderlähmung bekam. Sein Gang ist schleppend, sein linker Arm unbrauchbar geworden. Trotzdem ist er nicht auf einen Rollstuhl angewiesen, er schlurft sehr bedächtig und konzentriert durch sein geordnetes Leben. Seine Methoden, wie er sich Socken anzieht oder seine Bettdecke zurecht zupft, ist für ihn überlebenswichtig. Nur so kommt er fast ohne fremde Hilfe durchs Leben.

Ich frage mich, wie lange er brauchte, um das kleine Geschenk einzupacken. Um die Buchstaben zu tippen und um die Schleife zu machen.
„Für dich“, sagt er,“ du hast doch bald Geburtstag:“
Ich lache, streiche ihm andeutungsweise über seine stopplige Wange . („Ist dein Rasierer kaputt ?“)
„Also wenn da eine Seife drin ist, was ich vermute, dann wasche ich dir den Kopf damit !“
Wir lachen beide los.

Meistens ist es einfach, die Menschen zu mögen. Wenn man sie sein lässt, wie sie sind.